
Dr. Schavan - Im Gespräch
Auf das Interview mit der Kultusministerin des Landes Baden Württemberg,
Dr. Annette Schavan, haben wir uns besonders gefreut. Schließlich
ist sie ja auch die Schirmherrin unseres Projektes Jugendline Annette
Schavan ist 45 Jahre alt und als Seiteneinsteigerin in die Politik
gekommen. Kurz vor unserem Interviewtermin hatte die CDU erneut
die Landtagswahlen gewonnen und sie in ihrer Position für eine weitere
Legislaturperiode in ihrem Amt als Kultusministerin bestätigt. Dr.
Schavan studierte ursprünglich Theologie, Philosophie und Pädagogik.
Sie lebt allein, aber nicht einsam. Sie hat viele Freunde, zum Teil
seit ihrer Studienzeit, und das hält sie auch im Sinne gesunder
Selbstkorrektur für wichtig. Wir danken ihr für das Gespräch und
natürlich auch für ihre Unterstützung als Schirmherrin!!
Frau Dr. Schavan, Sie kommen aus der kirchlichen Bildungsarbeit.
Inwieweit prägt diese Vergangenheit auch das Verständnis Ihrer jetzigen
Aufgabe?
Das ist wahr, ich war in der katholischen Kirche aktiv. Geprägt
hat mich die Gemeinschaft. Es prägt mich, nachdem ich auch Theologie
studiert habe, ein Grundvertrauen, das sich aus dem Glauben ergibt.
Ein Grundvertrauen, das am Ende nicht alles scheitert, sondern der
Mensch angenommen ist in Gott, dem Menschen Möglichkeiten, Kräfte,
Gaben geschenkt sind, die wir einsetzen sollen. Es prägt mich evangelische
Sozialethik und katholische Soziallehre, die im letzten Jahrhundert
viel Impulse gegeben haben, für so eine Gesellschaft, für das Verständnis
von Freiheit, von Verantwortung, von Gerechtigkeit. Meine berufliche
Arbeit, das war Arbeit in der Erwachsenenbildung. Familienbildung,
Frauenbildung, Bibliotheken gehörten dazu. Und dann habe ich einige
Jahre ein Begabtenförderungswerk geleitet. Die Arbeit mit den Studierenden,
die Arbeit mit den jungen Künstlerinnen und Künstlern, die prägt
mich eigentlich noch bis heute. Es gibt immer wieder Situationen
in meiner jetzigen Arbeit, da erinnere ich mich an Gespräche mit
Studierenden, an Gespräche mit jungen Künstlern, da ist manche Idee
entstanden, und da habe ich manche Erfahrung mitbekommen, die heute
in der Bildungspolitik für mich wichtig ist.
Welche Fragen sollten sich denn Schüler/innen in Ihren Augen
am Ende ihrer Schulzeit stellen.
Beruf- und damit die Frage nach Ausbildung und Studium sind für
jeden jungen Menschen, denke ich, ganz zentral. Die wichtigsten
Fragen: Was kann ich, was will ich und was für Möglichkeiten gibt
es. Man sollte schauen: Gibt es neue Berufsbilder, gibt es Arbeitsplätze.
Wo kann eine Ausbildung dann auch wirklich in einen beruflichen
Weg führen. Die Chancen bedenken, aber auch die eigenen Möglichkeiten,
denn ein Berufsleben ist lang. Und dann sollte man sich letztlich
auch für die Dinge entscheiden, von denen man weiß, dass man sie
kann, dass sie vielleicht auch Spaß machen. Ich finde, neben dem
Beruf gibt es noch viele andere Dinge, die wichtig sind. Ich finde,
jeder junge Mensch sollte sich auch überlegen, was gibt es in dieser
Gesellschaft noch für Aufgaben.
Frage zur Oberstufenreform: Warum wollen sie die Leistungskurse
abschaffen? Ich kenne viele, und mir selbst geht es auch so, die
das gut finden, wenn in einem Fach nur die drin sitzen, die sich
wirklich dafür interessieren. Was ist schlecht daran?
Interessant ist, dass vor über 25 Jahren, als die jetzige Oberstufe
eingeführt wurde, hier auf dem Schlossplatz über 30 000 Schüler/Innen
dagegen demonstriert haben. Sie wollten das Kurssystem auf keinen
Fall. Und jetzt fragen wieder einige kritisch, ist das wirklich
der richtige Weg? Das finde ich auch ganz normal. Man muss sich
ja immer, wenn solche Pläne überlegt werden, fragen: Ist das jetzt
der richtige Weg? Die Unterscheidung von Grund- und Leistungskursen
hat dazu geführt, dass die, die sich interessieren, in einer Gruppe
sind, und das heißt ja dann im Umkehrschluss, dass die, die sich
nicht interessieren, im anderen Kurs sind. Und das ist genau das
Problem der Grundkurse. Grundkurse, vor allen Dingen in Deutsch
und Mathematik, von denen dann gesagt wird, damit erreichen wir
eigentlich nicht das, was Abitur bedeutet. Es gibt so manche Schwachstelle,
über die sich die Universitäten beschweren. Deshalb soll es jetzt
in den Kernfächern Deutsch, Mathematik, Fremdsprache für alle einen
gleichen Bildungsplan geben. Aber klar ist, auch in Zukunft soll
es die Wahlmöglichkeiten geben, im Neigungsfach.
Wie müsste Ihrer Meinung nach Schule gestaltet sein oder gestaltet
werden, dass Schüler zu einer eigenen Urteilskraft oder Wertehaltung
finden können?
Der wichtigste Punkt ist, glaube ich, wenn es um Werte geht, die
Möglichkeit, Verantwortung einzuüben. Ich setze sehr auf Initiativen
wie Streitschlichterprogramme, Mentorenprogramme, also Schülerinnen
und Schülern die Möglichkeit zu geben, ihre Talente einzusetzen.
Werte sind ja nichts Starres, worüber man nur reden kann, sondern
Werte sind etwas sehr Lebendiges, die erfährt man entweder oder
man erfährt sie nicht. Also Schule hat einen Raum, indem es nicht
nur um Fachwissen geht, sonder auch darum, dass ich im Sozialen
im Blick auf bestimmte Fächer, im Blick auf bestimmte Probleme,
die es auch tatsächlich gibt, selbst aktiv werden kann. Noch einmal
an einem Beispiel: Wir beschäftigen uns seit langem mit der Frage:
Gewalt in der Gesellschaft, Gewalt in der Schule, und ich glaube,
es hilft nicht viel, wenn wir Erwachsenen über Jugendliche sprechen.
Wenn ich vorbeugende Maßnahmen entwickeln will, dann muss ich es
mit den Jugendlichen tun, die Jugendlichen selbst müssen die Möglichkeiten
haben, an den Spielregeln mitzuwirken, so etwas wie eine Hausordnung
der Schule mit ihnen zu erstellen, selbst Konfliktlösungen zu erarbeiten.
Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?
Das hat vielleicht ein bisschen mit dem zu tun, was wir anfangs
gesagt haben. Ich war ja 15 Jahre ganz normal berufstätig, nicht
in der Politik. Ich habe mit Studenten gearbeitet in einem Begabtenförderungswerk,
war in der Erwachsenenbildung. Diese Arbeit oder Bildung, viel Arbeit
mit jungen Menschen hat mich eigentlich sehr beflügelt und mir dann
auch Mut gemacht für die Politik. Weil Politik ja heißt, dass man
an den Rahmenbedingungen arbeitet, damit Menschen sich entwickeln
können. Ich glaube, dass in Menschen viel steckt und dass bei allem
Ärgerden man auch hat, es doch immer wieder auch Möglichkeiten gibt,
etwas zu gestalten.
Stimmt das, dass Sie allein leben? Und sind Sie einsam?
Ich bin nicht einsam. Die Frage, ob jemand einsam ist oder nicht
einsam ist, hängt nicht zusammen mit der Frage, ob ich verheiratet
bin oder nicht. Es gibt Menschen und Familien, die einsam sind,
und es gibt Alleinlebende, die einsam sind, und es gibt auch von
beidem das Gegenteil. Ich habe einen großen Freundeskreis, zum Teil
seit Studienzeiten, das ist auch wichtig. Jemand, der alleine lebt,
nicht verheiratet ist, keine Kinder hat, der braucht ja dennoch
den Austausch, braucht Beziehung zu Menschen, auf die man sich verlassen
kann, die sich auf einen verlassen können. Ich habe Geschwister,
die wiederum Familien haben, Nichten und Neffen. Und das ist wichtig,
vor allen Dingen auch im politischen Leben, Menschen. die einen
korrigieren, Menschen, die einem Anregungen geben, Menschen, bei
denen man sich einfach auch mal fallen lassen kann, in der Großfamilie
oder im Freundeskreis.
Wie wird die Zukunft der Schule aussehen? Was wird die Aufgabe
der Schule sein? Werden die Schüler nur noch vor dem Computer sitzen?
Womöglich werden wir es erleben, dass der Lehrer dann am Bildschirm
auftaucht, was denken Sie, was wird sich da verändern?
Das hoffe ich, wird nie so sein. Weil ich davon überzeugt bin,
bei aller Liebe zum Computer, das Entscheidende, auch in der Schule,
spielt sich zwischen Menschen ab. Zwischen Menschen, die sich mögen
oder auch nicht mögen. Zu jeder Schulzeit gehört ja auch, dass ich
Lehrer habe, die ich nur bedingt nett finde und den Lehrern geht
es mit Schülern manchmal auch so. Aber auch daraus kann man lernen.
Das ist ja später im Leben auch so. Man hat ja auch nur selten mit
Leuten zu tun, die man auf Anhieb gut findet, sondern manchmal braucht
man ja eine Zeit lang, um jemand zu verstehen. Nein, auch die Schule
der Zukunft ist eine Schule von Menschen. Begegnung von Menschen,
Auseinandersetzung zwischen Menschen, lernen voneinander, Anteil
nehmen aneinander, sich auch miteinander streiten, das muss das
Kernstück von Schule bleiben. Die Schule der Zukunft sollte nicht
immer mehr Fächer und immer mehr Lehrpläne und immer mehr Unterrichtsstunden
haben, sondern ich glaube, es ist wichtig, dass in der Schule das
geschieht, was ich nicht woanders lernen kann. Grundlagen stärken.
Das notwendige Wissen vermitteln. Es ist heute schon so, und es
wird immer stärker werden, dass Menschen lebensbegleitend lernen.
Jeder von uns muss jeden Tag wieder dazu lernen.
Stimmt es, dass Sie als Schülerin in Mathe mal nicht so gut
waren oder keine Lust darauf hatten?
Ja, das stimmt. Ich habe immer Fächer gehabt, die ich toll fand,
und solche, die ich weniger toll fand. Das hat sich auch geändert.
Zum Beispiel fand ich Mathe eine Zeit lang ätzend. Dafür gefiel
mir Physik. Da könnte man ja heute sagen: Wieso, das ist doch miteinander
verwandt? Aber Physik war anschaulicher, da gab es Versuche. Ich
habe mich sehr für Geschichte interessiert, ich habe mich weniger
für Sport interessiert. Und ich glaube, das ist doch ganz normal.
Das war bei mir nie von der ersten bis zur letzten Klasse gleich,
in bestimmtem Alter fand ich dieses und jenes interessanter und
anderes weniger interessant. Ich habe nie den Ehrgeiz gehabt, alles
wichtig zu finden. Nur glaube ich, dass es wichtig war, dass man
es machen musste. Also ich konnte Mathematik nicht abwählen, sondern
ich musste es durchziehen. Im Nachhinein habe ich zwei Schlüsselerfahrungen
gemacht. Ich habe das Abitur gemacht, und dann habe ich angefangen,
Theologie, Philosophie, Pädagogik zu studieren, und habe gedacht,
mit Mathe hat das gar nichts zu tun. Und dann kam Statistik1, Statistik2,
Statistik3, und dann war ich heilfroh, dass ich das durchgezogen
hatte. So dass einem manchmal zu Schulzeiten nicht so klar ist,
dass auch, wenn ich nachher Dinge mache, die mir sehr liegen, es
dennoch mit manchem verbunden ist, was ich vielleicht nicht so gut
finde, was ich dennoch mitbringen muss. Deshalb glaube ich, hat
es auch keinen Sinn, so Kernkompetenzen so schnell weg zu tun, denn
plötzlich tauchen sie wieder auf.
Sind Sie denn gerne in die Schule gegangen oder haben Sie die
Lernerei auch manchmal als ätzend empfunden, die ja nicht immer
nur ein Geschenk ist?
Also meine Schulzeit, im Nachhinein verklärt sich ja ganz vieles.
Mir fallen nur noch die guten Dinge ein. Ich bin gerne in die Schule
gegangen, weil, ich habe da auch aktiv sein können. Ich habe in
der Schülerzeitung mitgemacht, ich war Schülersprecherin, viele
Jahre, ich habe Vieles in guter Erinnerung. Aber ich bin ganz sicher,
und da erinnere ich mich auch an manche Dinge, dass ich nicht jeden
Tag gerne in die Schule gegangen bin. Und dass es auch eine längere
Auseinandersetzung gegeben hat. Und heute würde ich sagen, dass
es eine Schulzeit ohne Auseinandersetzung gibt, das ist eine Illusion.
Das ist weg vom Leben. Die Schule ist wie das Leben sonst auch.
Keiner sollte glaube, dass wir irgendwann mal eine Schule haben,
die jedem gefällt, in der alles klappt und in der nur noch Menschen
sind, die sich mögen Das gibt es nicht. Das gibt es auf Erden jedenfalls
nicht.
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